Vom Sehen zum Glauben

Artikel - Vom Sehen zum Glauben Banner

“Und nach acht Tagen waren seine Jünger abermals drinnen, und Thomas war bei ihnen. Kommt Jesus, als die Türen verschlossen waren, und tritt mitten unter sie und spricht: Friede sei mit euch! Danach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände, und reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig! Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!” (Joh 20,26-29)

“Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben.” (Joh 20,25).

Thomas tat seine Meinung sichtlich unerschrocken kund, auch wenn er als einziger diesen Standpunkt vertrat.

Die anderen zehn Jünger hatten vor Kurzem ihren Lehrer und auferstandenen Herrn gesehen, der einen grausamen Tod gestorben und durch verschlossene Türen in ihre Mitte gekommen war. Er zeigte ihnen seine Hände und Seite, blies sie an und gab ihnen die Verheißung des Heiligen Geistes (Joh 20,19-23).

Sie waren Zeugen eines der größten Wunder geworden und so schlug ihre Angst in Freude um. Ihren auferstandenen Herrn sehend wurde ihre verlorene Hoffnung wieder entfacht.

Thomas hatte diesen historischen Moment verpasst. In ihrer Aufregung berichteten die anderen ihm: “Wir haben den Herrn gesehen!” Aber die einhellige Aussage seiner Jüngergenossen überzeugte ihn kein bisschen. In seinem Herzen war Jesus tot. Was ihn betraf, war alles, was er sich einst von Jesus erhofft hatte, nun vorbei. Nichts konnte seinen Glauben mehr wiederbeleben.

Vielleicht ging ihm folgendes durch den Kopf:

Ihr habt den Herrn gesehen?

Nein. Ihr seht Dinge, weil ihr verzweifelt versucht, etwas gegen eure Ängste zu tun.

Ihr habt die Hände und die Seite Jesu gesehen?

Habt ihr sie wirklich berührt, um zu sehen, ob sie echt sind?

Nein. Ihr seid alle von eurer Einbildung betrogen worden.

Thomas konnte nur dann umgestimmt werden, wenn er die Nägelmale an Jesu Händen sehen und seinen Finger in die Nägelmale und seine Hand in die Seite legen könnte. Er war überzeugt, dass seine Forderung unmöglich war. Was auch immer die anderen Jünger gesehen hatten, es konnte einfach nicht wahr sein. Ende der Diskussion.

Sehen inspiriert den Glauben

“Mein Herr und mein Gott!”

Stellen wir uns den Thomas vor, der mit diesen Worten seine völlige Unterwerfung zum Ausdruck brachte. Ein Zeichen hatte die Kehrtwende bewirkt – ein Zeichen, das Jesus speziell für ihn tat. Jesus kam durch verschlossene Türen, erschien vor seinen Augen, sprach mit ihm und bot ihm an zu überprüfen, ob er echt war.

Im Johannesevangelium spielen Zeichen eine zentrale Rolle im Wirken Jesu. Vor dem Volk und den Jüngern tat Jesus viele Zeichen (Joh 7,31; 12,37; 20,30).

Gleich nach dem Bericht über Jesu Erscheinen vor Thomas sagt uns die Heilige Schrift: “Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch.” (Joh 20,30). Dies deutet darauf hin, dass in dem vorangehenden Bericht ein Zeichen geschehen war.

Ein Zeichen ist per definitionem ein Verweis auf etwas jenseits seiner selbst. Durch außergewöhnliche Ereignisse offenbaren Zeichen die Identität Jesu: Er ist der Christus, der Sohn Gottes.

Der Zweck der Zeichen Jesu besteht nach Johannes darin, dass wir glauben, dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes, ist und dass wir, weil wir glauben, das Leben haben in seinem Namen (Joh 20,31). Die Zeichen, die Jesus tat, waren nicht nur Zeichen göttlicher Macht. Sondern sie führten auch die Menschen zum Glauben an ihn als den Retter der Welt, als die wahre Antwort auf unsere Probleme.

Indem er die Menge mit nur fünf Broten und zwei Fischen speiste, offenbarte Jesus, dass er das Brot des Lebens vom Himmel ist. Indem er den von Geburt an blinden Mann heilte, zeigte Jesus, dass er das Licht der Welt ist. Indem er Lazarus von den Toten auferweckte, zeigte Jesus, dass er die Auferstehung und das Leben ist.

Deshalb sind Wunder bei der Verkündigung des Evangeliums unerlässlich. Auch heute noch bezeugt Gott uns dies durch Zeichen, Wunder und mächtige Taten (Hebr 2,4). Durch diese finden so manche zum Glauben an den Herrn Jesus.

Mein Herr und mein Gott

Das Wirken Gottes persönlichen erfahrend treten wir in die Gegenwart des allmächtigen und liebenden Gottes ein. Dann stehen wir da, ehrfürchtig, gedemütigt, bewegt und sprachlos.

Dasselbe geschah mit Thomas. Keine selbstbewussten Behauptungen mehr. Nur noch ein Ausruf des Glaubens: “Mein Herr und mein Gott!”

Jesus wusste, was Thomas brauchte und gab es ihm. Auch uns, den Leserinnen und Lesern, hat er etwas mitzuteilen. Schließlich hätte er warten können, bis alle elf Jünger zusammen waren, aber er erschien ihnen, als Thomas abwesend war.

Er hörte die Worte des Thomas an die anderen Jünger. Acht Tage später, als Thomas mit den anderen zusammen war, erschien Jesus wieder, dieses Mal nur für ihn. Jesus forderte Thomas auf genau das zu tun, was er verlangt hatte: den Finger in seine Hände und die Hand in seine Seite zu legen.

Thomas musste nicht einmal Jesu Hände und Seite berühren, um seinen Glauben an den auferstandenen Christus zu bekennen. Ohne jeden Zweifel hatte sich ihm der lebendige Jesus gezeigt. Noch bedeutender ist die Tatsache, dass Jesus sich so sehr um ihn sorgte und nur für ihn erschien.

Jesus tat keine Zeichen, um der Forderung eines Ungläubigen nachzukommen (Mt 12,38.39; Joh 2,18-22), und er war in keinster Weise verpflichtet, Thomas von seiner Auferstehung zu überzeugen. Aber Jesus hatte Thomas nicht aufgegeben. Er kannte den Charakter von Thomas – kritisch zu sein, vor allem in einer Sache solchen Ausmaßes.

Er kennt auch den Thomas in einem jedem von uns. Der Thomas, der einst alles verlassen hatte, um ihm nachzufolgen, und der nun seinen Glauben an den Nagel hängen möchte. Aus Liebe hat Jesus den verlorenen Glauben des Thomas wieder hergestellt.

Es bedeutet ihm sehr viel, ob wir ihm glauben und vertrauen. Wie oft hat Gott nicht schon alles getan, um uns zu finden, als wir verloren waren? Selbst wenn wir Ihn aufgeben, gibt Er uns doch nie auf. Auf wunderbare Weise berührt Er immer wieder unser Leben und zeigt uns, wie viel wir Ihm bedeuten. In solchen Momenten sind wir erstaunt und spüren das tiefe Gefühl der Unwürdigkeit.

Alles, was wir in unserer Benommenheit vielleicht noch sagen können, ist: “Mein Herr und mein Gott!”. Gott ist nicht mehr der Gott der anderen oder unserer Familie. Er ist unser Gott geworden. Diese persönliche Begegnung mit dem Herrn ist das Wertvollste an Wundern. Es ist nicht die Vision, die Heilung oder die Befreiung von der Gefahr an sich. Sondern es ist die Begegnung unseres Herrn und Gottes von Angesicht zu Angesicht durch seine Kraft und Freundlichkeit.

Diese persönlichen Begegnungen mit Gott bleiben uns in der Regel für den Rest unseres Lebens in Erinnerung. Selbst in Zeiten des Zweifels können wir uns an ihnen festhalten und unseren Glauben erneuern.

Sehen und glauben

Sehen ist glauben, so die Redewendung. Die Welt hat uns gelehrt, nur dann etwas zu glauben, wenn wir Beweise in der Hand haben. Wer würde ohne unterzeichneten Vertrag Geld für ein Haus überweisen? Welche Universität würde eine Zulassung erteilen, nur weil jemand behauptet, die Voraussetzungen dafür erfüllt zu haben?

Wir haben alle gelernt, skeptisch zu bleiben, bis die Beweise vor uns liegen. Denn wie können wir ohne eindeutige Belege wissen, was wahr oder falsch ist?

Gott weiß, dass wir in einer Welt des Misstrauens nicht mehr ohne gute Beweise an die Wahrheit glauben können (Joh 4,48). Aus diesem Grund lehrte Jesus das Volk nicht nur die Wahrheit über Gott und sein Heil, sondern er wirkte auch Wunder und Zeichen unter den Menschen (Apg 2,22).

Auf diese Weise offenbarte er seine Herrlichkeit und zeigte den Menschen, dass der Vater in ihm wirkte und er eins mit dem Vater war (Joh 2,11; 10,37.38). So waren seine Zeichen ein fester Bestandteil seines Wirkens.

Wenn Zeichen so wichtig sind, war es dann verkehrt von Thomas ein Zeichen zu verlangen? Ist es etwa auch für uns nicht richtig, erst sehen zu wollen und dann zu glauben?

Jesus sagte zu Thomas: “Weil du mich gesehen hast, darum glaubst du? Selig sind, die nicht sehen und doch glauben!” (Joh 20,29). Es scheint, als erwarte Jesus von uns Glauben ohne jeden sichtbaren Beweis. Es scheint auch, als spiele Jesus hier die Bedeutung von Zeichen und Wundern herunter. Aber dem ist nicht so.

Jesus war zu diesem Zeitpunkt bereits den anderen zehn Jüngern erschienen. Er hatte ihnen Seine Hände und Seine Seite gezeigt. Selbst als Jesus acht Tage später Thomas erschien, waren die anderen Jünger anwesend und wurden Zeugen dieses Zeichens. Thomas war nicht der einzige Jünger, der erst dann glaubte, als er gesehen hatte. Das Problem liegt also nicht im Sehen von Wundern.

Die Bibel sagt uns vielmehr, dass Jesus, nachdem er von den Toten auferstanden war, sich den Aposteln “durch viele Beweise als der Lebendige [zeigte] und sich sehen ließ unter ihnen vierzig Tage lang und mit ihnen redete vom Reich Gottes.” (Apg 1,2-3). Würde Jesus Glauben ohne Beweise erwarten, hätte er wohl vor seinen Jüngern nicht so viele Zeichen getan und Beweise geliefert.

Was war also das Problem an Thomas’ Haltung? Seine Forderung lautete: “Wenn ich nicht in seinen Händen die Nägelmale sehe und lege meinen Finger in die Nägelmale und lege meine Hand in seine Seite, kann ich’s nicht glauben.” Er fragte weniger nach einem Zeichen, sondern machte vielmehr seinen unerschütterlichen Unglauben geltend.

Thomas drückte dies in der stärksten Form der Verneinung aus (1) und bestand darauf, dass er nicht glauben würde, außer unter den von ihm genannten Bedingungen. Anders gesagt: “Wenn ich dies nicht auf meine Art und Weise verifizieren kann, werde ich niemals glauben!” Vielleicht ist der Ausdruck ” Thomas der Zweifler” nicht annähernd so zutreffend wie “der ungläubige Thomas”.

Der letzte Befehl Jesu an Thomas lautete: “Sei nicht ungläubig, sondern gläubig” (Joh 20,27). Jesus wies ihn an, nicht nur in diesem Augenblick an seine Auferstehung zu glauben. Thomas war in einen Zustand des Unglaubens gefallen und wollte so bleiben, es sei denn, man würde ihm das Gegenteil beweisen.

An anderen Stellen in der Bibel bezieht sich das Adjektiv “ungläubig” nur auf Menschen, die Gott ferne stehen, auf Ungläubige. Dies war der Zustand, in den sich Thomas hineinmanövriert hatte – er war zum Ungläubigen geworden. Jesus jedoch, voller Liebe und Barmherzigkeit, half Thomas aus seinem Unglauben heraus.

Thomas hatte seinen Glauben an Konditionen geknüpft und Gott dadurch eine Grenze gesetzt. Er würde nur glauben, dass Jesus auferstanden sei, wenn seine Bedingungen erfüllt würden. Dies ist ein Hinweis auf den Zustand seines Unglaubens.

Nicht sehen und doch glauben

Nach Jesu Worten sind solche gesegnet, die nicht sehen und doch glauben. Das sind solche, die auf Gott vertrauen, ohne irgendwelche Bedingungen an Ihn zu stellen. Dazu gehören auch wir, die Leserinnen und Leser, die wir an den auferstandenen Christus glauben, ohne ihn mit unseren eigenen Augen gesehen zu haben. Als Jünger Jesu ist die Zeit vorbei, dem Motto des “sehen ist glauben” zu folgen.

Jesus gewährt uns zwar, seine Herrlichkeit durch Zeichen und Wunder zu sehen, aber er wünscht nicht, dass wir sie zu einer Bedingung für unseren Glauben machen. Sehen mag zum Glauben führen, aber Glaube sollte nicht vom Sehen abhängig sein.

Gott möchte, dass wir vom Sehen zum Glauben kommen, und dass wir auch dann noch glauben, wenn es keine Wunder mehr gibt. Können Sie sich eine Beziehung vorstellen, in der man immer wieder Beweise erbringen muss, um das Vertrauen des anderen zu gewinnen? Solch eine Beziehung erhoffen wir uns sicherlich nicht zwischen Gott und uns.

Gott mag in unserem Leben Wunder tun, jedoch nach seinem Willen und nach seinem Zeitplan, nicht nach unserem. Im Gegensatz zu wissenschaftlichen Experimenten sind Wunder nicht dazu da, Gottes Worte zu beweisen. Vielmehr geschehen sie wegen Gottes Barmherzigkeit uns gegenüber.

Paulus lehrt in 2. Korinther 5,7: “Denn wir wandeln im Glauben und nicht im Schauen”. Unsere Reise ins Himmelreich findet nicht unter Sicht statt. Zeichen und Wunder nützen uns nur, wenn wir dadurch zu Christus kommen und Ihn als unseren Herrn und Gott erkennen. Nachdem wir eine persönliche und vertrauensvolle Beziehung zu Gott aufgebaut haben, führt uns der Glaube zum Ziel.

Durch eine wunderbare Erscheinung erkannte Thomas seinen Herrn und Gott in Jesus. Von nun an war Thomas über das Sehen hinausgewachsen. Auch wir haben Jesus als “Herrn und Gott” erkannt. Lasst unsere Herzen nicht hart werden, sondern lasst uns täglich im Glauben wandeln, bis zu dem Tag, an dem wir Ihn sehen, wie er ist.

 

(1) Die doppelte Verneinung οὐ μὴ ist die entschiedenste Form, im Futur etwas zu verneinen.

Übernommen aus Manna Issue 62, 2010, “From Seeing to Believing”, Stephen Ku – Pacifica, California, USA