Über die Zeit und das Gebet

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Des Abends, morgens und mittags
will ich klagen und heulen;
so wird er meine Stimme hören. (Psalm 55,18)

In diesem Psalm schreibt David, dass er dreimal am Tag betet: abends, morgens und mittags. Das heißt, er hat die Gewohnheit, sein Herz täglich vor Gott auszuschütten, im Vertrauen, dass Gott ihn hört. Haben wir Christen heute dieselbe Liebe zum Gebet wie David?

Viele haben vielleicht das Gefühl, dass im geschäftigen Alltag nicht genug Zeit zum Beten ist. Wir sprechen am Morgen ein kurzes Gebet, in dem Glauben, dass wir unsere christliche Pflicht getan hätten. Aber eigentlich beschäftigen uns die vielen Aufgaben auf unserer To-Do-Liste für den jeweiligen Tag. Es gibt immer zu viel zu tun und man hat zu wenig Zeit. Wenn wir dann schließlich Zeit zum Beten finden, ist sie oft kurz und das Gebet ist eilig und gehetzt.

Dennoch wissen wir aus eigener  Erfahrung, dass sich unser Leben leer anfühlt, wenn wir uns keine Zeit zum Beten nehmen. Es gibt Tage, an denen wir viel geschafft haben, und doch sind wir am Ende, wenn wir im Bett liegen, nicht glücklich. Eigentlich ist das Gebet eine Quelle der Freude und Kraft, insbesondere wenn wir sehr beschäftigt sind. All jene, die auf Gemeindeseminaren gewesen sind, in denen der Stundenplan sehr eng getaktet war, waren teils sehr müde, weil es so anstrengend war und doch sind sie am Ende des Seminars geistlich erfrischt, weil sie wesentlich mehr Zeit im Gebet verbracht haben. Nach drei Wochen Beten, vom frühen Morgen bis zur Schlafenszeit, hat so mancher das Gefühl, Gott berührt zu haben.

Auch wenn viele den Segen des Gebets erfahren haben, bleibt die häufigste Ausrede fürs Nicht-beten: “Ich habe einfach keine Zeit.” Warum ist das so? Ist das Gebet nicht ein Teil unseres Glaubens, den wir fest in unser Alltagsleben integrieren sollten? Schauen wir uns zwei Beispiele in der Bibel an, um mögliche Antworten darauf zu finden.

Daniel

Gebet und Beruf

Am Ende von Daniel Kapitel 5 lesen wir, wie Darius den babylonischen König Belsazar stürzte und die Ära des Achämenidenreiches einleitete. Dieser Regimewechsel führte zu einer tiefgreifenden Veränderung von Daniels Arbeitsumfeld (Dan 6,2-6). Trotzdem arbeitete Daniel wie bisher::

Daniel aber übertraf alle Fürsten und Statthalter, denn es war ein überragender Geist in ihm. Darum dachte der König daran, ihn über das ganze Königreich zu setzen. Da trachteten die Fürsten und Statthalter danach, an Daniel etwas zu finden, das gegen das Königreich gerichtet wäre. Aber sie konnten keinen Grund zur Anklage und kein Vergehen finden; denn er war treu, sodass man keine Schuld und kein Vergehen bei ihm finden konnte. (Dan 6,4-5)

Er war genauso treu, wie er es unter seinen vorigen Herren gewesen war, und er erfüllte seine Pflichten aufs Beste. Obwohl seine Widersacher ihn auf Herz und Nieren prüften, konnten sie keinen Grund zur Anklage finden – seine Arbeit war tadellos.

Es ist bekannt, dass Daniel dreimal am Tag betete (Dan 6,11). Von der Zeit an, als er an den babylonischen Hof kam, während seiner Zeit als oberster Verwalter über die Weisen in Babylon und auch nach seiner Ernennung zu einem der drei Fürsten Persiens und der Meder, hielt er immer an seiner Gewohnheit fest – er dankte Gott dreimal am Tag. Die Frage ist: Wie fand Daniel die Zeit zu beten, während er ein so anspruchsvolles Amt innehatte, das viel Zeiteinsatz forderte?

Man könnte anführen, dass Daniel, da er einen überragenden Geist hatte (Dan 6,4), seine Pflichten vermutlich mühelos ohne großen Zeit- und Arbeitsaufwand erfüllen konnte. Schließlich war Gott mit ihm und hatte ihn mit Weisheit und Verstand gesegnet, noch mehr als seine drei Freunde. Wenn wir diesen Gedanken zu Ende führen erscheint es dann nicht weiter verwunderlich, dass Daniel all seine Pflichten gut erfüllen und noch dreimal am Tag beten konnte. Im Gegensatz zu Daniel scheint es für uns – ungeachtet unserer Bemühungen – immer Verbesserungspotential zu geben, was Zeit und Energie erfordert. Da wir nicht über Daniels außergewöhnliche Gaben verfügen, kann niemand erwarten, dass wir beruflich hervorragend sind und gleichzeitig viel Zeit im Gebet verbringen, oder?

Diese Argumentation ist jedoch fehlerbehaftet.

Erstens hätte Daniel allein auf der Grundlage seines Talents keine tadellose Arbeit leisten können. Auch er musste Zeit und Kraft aufwenden, um neue Fähigkeiten zu lernen und Fehler auszubügeln, denn auch Daniel war nur ein Mensch. Selbst Jesus verbrachteZeit im Tempel, um Fragen zu stellen und zu lernen.

Zweitens wurde Daniel mit dem Wissen und der Weisheit ausgestattet, die er für seine Arbeit bedurfte. Gott hatte ihn als Statthalter über das ganze Königreich eingesetzt und ihn mit den Gaben beschenkt, die er für diese Position benötigte. Zwar sind wir vermutlich keine  hohen Regierungsbeamten, aber Gott wird auch uns mit den Fähigkeiten segnen, die wir zur Erfüllung unserer Pflichten benötigen.

Drittens, und das ist das Wichtigste, machen wir das Beten abhängig von unserer Zeit. Wenn wir Zeit haben, beten wir; wenn wir keine Zeit haben, beten wir nicht. Doch Daniel tat das Gegenteil: Seine täglichen Gebete hatten Priorität. Er machte seine Arbeit abhängig vom Gebet. Wenn wir umgekehrt zulassen, dass unsere Zeit durch die Arbeit und nicht durch das Gebet bestimmt wird, dann werden wir nie genug Zeit zum Beten finden.

Warum so beschäftigt?

Wir täten gut daran, die Worte Jesu an Marta zu beherzigen:

Der Herr aber antwortete und sprach zu ihr: “Marta, Marta, du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not. Maria hat das gute Teil erwählt; das soll nicht von ihr genommen werden.“ (Lk 10,41-42a)

Wie Marta besteht unser Problem darin, dass wir in unserem Leben vieles erreichen wollen. Marta wollte eine gute Gastgeberin sein. Das kann man ihr nicht verübeln, denn sie empfing Gäste, die der Rede Jesu zuhörten. Leider setzte sie sich dabei selbst unter Druck und war unzufrieden.

Auch wir wollen vieles. Wir wollen, dass unser Arbeits- und Familienleben rund läuft. Gleichzeitig wollen wir ausreichend Freizeit haben. Zeit fürs Gebet ist wahrscheinlich am wenigsten wichtig für uns. Nun hat Gott jedem von uns begrenzte Zeit gegeben. Aber wir schrecken davor zurück, diese Zeit zu opfern, denn Zeit ist Leben. Gebetszeit scheint Zeit zu sein, die wir in gleicher Weise auch für andere Aktivitäten hätten nutzen können.

Jesus sagte zu Marta: “Du hast viel Sorge und Mühe. Eins aber ist not.” (Lk 10,42a). Es ist durchaus gesund, unseren Glauben daraufhin zu prüfen – wir mögen uns über viele Dinge Sorgen machen, aber diese lenken uns nur von wichtigeren Dingen ab, wie zum Beispiel vom Wort Gottes.

Daniel erkannte, dass einzig das Gebet notwendig ist. Vielleicht war es anfangs im Palast  als er noch eine unbedeutende Position innehatte, einfacher, dreimal am Tag zu beten. Aber diese Gewohnheit beizubehalten, als er zum Obersten über alle Weisen und später zum Fürsten über das Königreich ernannt wurde, ist in der Tat bemerkenswert. Er musste sich nicht nur um seine eigene Arbeit, sondern auch um die Arbeit vieler anderer kümmern. Deshalb wird er als einer beschrieben, der einen überragenden Geist hatte.

Selbst als Daniels Leben wegen seines Gebets auf dem Spiel stand, betete er unbeirrt dreimal am Tag zu Gott (Dan 6,10). Dies zeigt, wie ernst er es mit dem Gebet meinte. Wir müssen uns vielleicht nie zwischen Leben und Gebet entscheiden, aber trotzdem opfern wir regelmäßig Gebetszeit für andere, weniger dringliche Dinge. Wir sagen: “Später habe ich ja auch noch Zeit zum Beten”. Aber nachdem eine Aufgabe erledigt ist, wartet stets die nächste auf uns. Deshalb kann uns Daniel ein Vorbild darin sein,dass er das Gebet zur Priorität seines Tages gemacht hat.

Jesus

Gebet und Wirken

In Hebräer 5,7 heißt es, dass Jesus auf Erden viel Zeit im Gebet verbrachte. “Und er hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen vor den gebracht, der ihn aus dem Tod erretten konnte; und er ist erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt.”. Dieser Vers hebt nicht hervor, dass Jesus seine Zeit, seinen Schlaf oder sein Leben am Kreuz opferte. Vielmehr liegt der Schwerpunkt auf seinem Bitten, Flehen und darauf, wie er sie dargebracht hat.

Ein genauerer Blick in das Lukas-Evangelium zeigt, dass Jesus nichts tat, ohne vorher gebetet zu haben. Er betete während Seiner Taufe und bevor Er Seine Jünger erwählte (Lk 3,21; 6,12). Auch betete Er bei seiner Verklärung auf dem Berg und in Gethsemane vor Seiner Gefangennahme (Lk 9,28; 22,39-46). Dies waren entscheidende Momente in seinem Leben. Aber nicht nur zu solchen Zeiten betete er.

“Er aber entwich in die Einöde und betete.” (Lk 5,16).

Wir sehen: Je mehr Jesus wirkte, desto mehr betete er – obwohl er weniger Zeit hatte. In Markus Kapitel 1 ging er am Sabbat in die Synagoge, um zu lehren, und dort heilte er einen von einem unreinen Geist besessenen Mann. Danach ging er in das Haus des Petrus und heilte dessen Schwiegermutter. Als der Sabbat sich bei Sonnenuntergang dem Ende zuneigte, brachten viele Menschen Kranke zur Heilung. Wenn wir einen langen Tag voller Arbeit hinter uns haben, wollen wir in der Regel einfach nur ins Bett und schlafen. Aber was tat Jesus?

“Und am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.” (Mk 1,35)

Jesus wachte vor der Morgendämmerung auf, um zu beten. Je mehr Er tat, desto mehr betete Er. Für uns gilt jedoch oft das Gegenteil – je mehr Zeit wir der Gemeindearbeit widmen, desto weniger Zeit widmen wir dem Gebet. Wir haben das Gefühl, dass nur durch unsere Arbeit etwas geschieht und nicht durch das Gebet. Wir denken, dass wir aktiv arbeiten müssen, und dass das Gebet passiv ist und die Arbeit nicht voranbringen kann. Dies ist ein weiteres grundlegendes Missverständnis über das Gebet.

Erstens ist das Gebet selbst eine Handlung und sollte Auftakt zu jedem Werk sein, das wir für Gott tun. Arbeiten ohne Beten zeigt eigentlich, dass wir mehr Wert auf die Arbeit selbst legen. Wenn wir aber vor der Arbeit beten, erkennen wir an, dass dies Gottes Werk ist, das Er vollenden wird.

“Gott der HERR hat mir eine Zunge gegeben, wie sie Jünger haben, dass ich wisse, mit den Müden zu rechter Zeit zu reden. Er weckt mich alle Morgen; er weckt mir das Ohr, dass ich höre, wie Jünger hören.” (Jes 50,4)

Dies ist eine Prophezeiung über Jesus. Sie besagt, dass Gott ihn jeden Morgen weckt und sein Ohr weckt, dass er wie ein Jünger hört. Als Jesus vor Tagesanbruch aufstand, um zu beten, hatte er dieses Herz – er öffnete sein Ohr, um auf Gott zu hören. Deshalb konnte er verkünden: “Denn ich tue allezeit, was ihm gefällt.” (Joh 8,29). Weil Jesus Zeit im Gebet verbrachte und mit Gott kommunizierte, war er in der Lage, Gottes Willen zu erfüllen. Deswegen sollten wir stets beten, bevor wir für Gott arbeiten.

Zweitens: Obwohl es so scheint, als ob Gebetszeit Arbeitszeit wegnimmt, trifft das Gegenteil zu. Gott schenkt uns durch Gebet oft zusätzliche Zeit. Vielleicht denken wir auch, dass Zeit im Gebet verschwendet sei. Vielmehr gibt Gott uns durch das Gebet die Weisheit, unsere Arbeit effizienter zu gestalten. Außerdem können wir durch das Gebet besser Prioritäten für das setzen, was im Leben wichtig ist. Wir können auf einen Gott bauen, der alles, was wir ihm anvertrauen, einschließlich unserer Zeit, nicht unvergolten lassen wird.

Drittens denken wir oft, dass die Arbeit Vorrang vor dem Gebet hat, obwohl es in Wirklichkeit das Gebet ist, das Vorrang vor der Arbeit hat. Jesu Dienst bestand oftmalsaus Verzicht: Er hatte kein Dach über dem Kopf (Lk 9,58) und verzichtete auf Essen, um das Evangelium zu verkündigen (Joh 4,34). Aber wenn er sich zwischen unvollendeter Arbeit und dem Gebet entscheiden musste, hatte das Gebet Vorrang.

“Aber die Kunde von ihm breitete sich immer weiter aus, und es kam eine große Menge zusammen, zu hören und gesund zu werden von ihren Krankheiten. Er aber entwich in die Einöde und betete.” (Lk 5,15-16)

“Und als er sich von ihnen getrennt hatte, ging er hin auf einen Berg, um zu beten.” (Mk 6,46)

Diese beiden Verse beschreiben, wie die Menschen kamen, um ihn zu hören und von ihm geheilt zu werden. Jesus hatte viel zu tun. Aber anstatt die Arbeit anzupacken, zog er sich an einen einsamen Ort zurück, um zu beten!

Heutzutage sind wir ständig erreichbar und stehen jedermann jederzeit zur Verfügung. Wenn Freunde oder Kollegen uns eine Nachricht senden, wird umgehend eine Antwort von uns erwartet. Als aber Jesus auf Erden wirkte, war er nicht immer verfügbar. Es gab Zeiten, an denen Er die Menge entließ, damit Er alleine Zeit im Gebet verbringen konnte. Lasst uns von Jesu Disziplin und Entschlossenheit lernen, unsere Arbeit vorübergehend beiseite zu legen und Zeit mit Gott im Gebet zu verbringen.

Zusammenfassung

Daniel und Jesus zeigen uns, dass das Gebet nicht vernachlässigt werden darf, ganz gleich, wie sehr man beruflich oder in der Gemeindearbeit eingebunden ist. Das Gebet sollte höchste Priorität in unserem täglichen Ablauf haben. Bevor wir etwas für Gott tun, sollten wir zuerst beten. Damit legen wir das bervorstehende Werk in die Hände Gottes. Und schließlich muss das Gebet Vorrang vor unvollendeter Arbeit haben.

Übernommen aus Manna Issue 77, 2015, “On Time and Prayer”, Jachin – Singapore