Mein Weg aus der Depression

Lina Pang, Irvine, California, USA Juli 2017
tunnel-336693_640

Die ersten 25 Jahre meines Lebens waren dank Gottes Beistand erstaunlich glücklich und reich gesegnet. Im Grundschulalter bewahrte Gott mich vor dem Angriff eines verrückten Hundes. Meine Zeit in der Mittelstufe und dem College war geprägt von unzählbar vielen Segnungen Gottes. Und als ich ins Berufsleben eintrat, erfuhr ich Gottes große Güte während eines Bußgebetes – kurzum der Herr war um mich, war in mir und strahlte aus mir heraus.

Aber, um mir Gelegenheit zu geben, im Glauben zu wachsen, ließ Gott mich durch eine schwierige Zeit gehen – eine sehr dunkle Zeit.

Hinunter in einen Abgrund

In einer Zeit, in der meine Beziehungen, Karriere und Familie eigentlich gut zu laufen schienen, begann sich mein Gemüt unmerklich zu verdunkeln.

Ich weiß nicht, warum und wann diese dunklen depressiven Gedanken langsam von mir Besitz ergriffen. Ich weiß nur, dass es sich anfühlte, als ob in mir ein schwarzes Loch wäre, eine sehr tiefe, dunkle Leere. Bald wurde dieses schwarze Loch immer größer und erfüllte schließlich mein ganzes Gemüt. Es war nun immer finster in mir, es war, als ob ich unter einer Decke sitzen würde. Ich konnte nicht mehr natürlich lächeln.

Wenn ich morgens aufwachte wünschte ich, ich wäre nicht aufgewacht. Der Tod schien viel attraktiver zu sein als das Leben. Wenn ich ging, fühlte ich mich seltsam von meinem Körper getrennt; fast so, als wäre mein Geist ein von mir getrenntes Wesen, das meinem physischen Körper bei Alltagstätigkeiten zuschaute. Ich fühlte mich wie ein Zombie. Was mir früher Spaß gemacht hatte, interessierte mich jetzt nicht mehr. In mir war eine große Leere.

Ich glaubte nun König Salomo verstehen zu können, wenn er sagte: das Leben ist eitel! Und: Das Leben ist ein endloser Kreislauf, in dem ein Tag dem anderen gleicht. Ich fand, dass das Leben im Allgemeinen keinen Sinn und keinen Wert hat. Und ich war überzeugt, dass vor allem auch mein Dasein keinen Sinn und Wert hatte. Demzufolge erschien mir Sterben besser zu sein, als Leben. Der Apostel Paulus hatte so ein Gefühl zwar auch beschrieben (Phil 1,23), aber aus einer ganz anderen Motivation heraus. Für ihn war der Tod willkommen, jedoch nur, weil er seine Mission auf Erden vollendet hatte und sich freute Gott zu sehen.

Ich hatte in jener Zeit die seltsamsten Erlebnisse. Einmal war ich mit meiner Familie und meinen Freunden im Kino und wir sahen den Film „Der Herr der Ringe“. In einer Szene, in welcher der böse Charakter die Protagonisten verfolgte, war es mir, als ob der dunkle Geist tatsächlich aus der Leinwand herausgeflogen käme. Diese Geister flogen dann durchs ganze Kino, umringten mich und wollten gar in mich hineinfliegen. Während meine Familie also den Film genoss, betete ich die ganze Zeit innerlich und sagte „Halleluja“, um die dämonischen Geister um mich herum zu vertreiben.

Während es in mir so dunkel war, wurde ich sehr sensibel und spürte die Existenz solcher dunklen Geister schneller und stärker. Zurückblickend erkenne ich, dass ich dadurch viel gelernt habe. Erstens wurde mir dadurch klarer, dass um uns täglich geistliche Kämpfe stattfinden, auch wenn wir sie nicht sehen. Zweitens wurde mir deutlich, dass, wenn wir geistlich schwach sind, der Teufel leicht in unser Herz kommen kann. Manchmal kommt er in Gestalt eines dunklen Gedankens oder einer wirren Idee. Diese sind dann wie kleine dunkle Punkte, die auf uns einstürmen. Sie sind nicht von Gott, denn sie stehen Gottes Wesen und seinem Wort entgegen. Diese kleinen dunklen Punkte werden immer mehr und immer stärker. Auch wenn wir also nicht von Dämonen besessen sind, kann der Einfluss des Teufels so groß werden, dass er uns kontrolliert. Er ist in der Tat wie ein brüllender Löwe, der umherläuft und nach Menschen sucht, die er verschlingen kann.

Es war mir zu peinlich, mit jemandem über das Dunkle in mir zu sprechen, denn als Christ und als Mitarbeiterin in der Gemeinde sollte ich doch voller Freude sein. Der Heilige Geist wohnte zwar in mir, aber ich konnte weder Freude noch Leben in mir spüren. Was ich jeden Tag fühlte, war Dunkelheit.

Die Depression war für mich auch insofern sehr beängstigend, weil ich Gottes Gegenwart einfach nicht mehr spüren konnte. Ich wollte mich anderen nicht anvertrauen, weil ich wusste, dass sie mir nur raten würden, zu beten, die Bibel zu lesen, mich auf Gott zu verlassen und für alle Sünden, die ich begangen hatte, Buße zu tun. All das tat ich bereits, aber erfolglos. Ich verstand nicht, warum mir das passierte, denn ich hatte keinen Grund, so betrübt zu sein. Ich wusste nur, dass tief in meinem Herzen eine abgrundtiefe Dunkelheit war, und dass ich absolut nichts dagegen tun konnte. Ich fühlte mich völlig hilflos.

An der Hoffnung festhalten

Auch wenn ich Gott nicht spüren konnte, war ich überzeugt, dass Gott existierte. Von klein auf hatte ich unzählige Zeugnisse über seine Gegenwart gehört; ich selbst hatte tiefe, persönliche Erfahrungen mit Ihm gemacht. Während ich also wie durch eine geistliche Mauer von Ihm abgeschnitten zu sein schien, klammerte ich mich an die Erinnerungen meiner Erlebnisse mit Ihm. Ich sagte mir, dass ich zwar nicht wüsste, warum ich das durchmachte, aber Gott wüsste, dass ich litt. Ich glaubte daran, dass Er mich zu Seiner Zeit aus dieser geistlichen Durststrecke herausholen würde.

So betete ich jeden Tag zu Gott, mir zu helfen, und glaubte ohne jeden Zweifel daran, dass es Licht am Ende des Tunnels geben würde, wenn ich Ihm treu bliebe; und an diese Hoffnung klammerte ich mich. Ich machte alles wie immer: betete, las die Bibel, ging zum Gottesdienst, brachte mich in der Gemeinde ein und wartete, dass Er mich retten würde. So wie es in den Psalmen steht:

Was betrübst du dich, meine Seele,
und bist so unruhig in mir?
Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken,
dass er mir hilft mit seinem Angesicht. (Ps 42,6)
Ich glaube aber doch, dass ich sehen werde die Güte des HERRN
im Lande der Lebendigen.
Harre des HERRN! Sei getrost und unverzagt
und harre des HERRN! (Psalm 27,13.14)

Ich wusste, kein Mensch würde mich aus dieser Depression, diesem Sumpf herausziehen können, nur Gott allein könnte das. Also wartete ich, wie der Psalmist, auf Gottes Eingreifen. Ich glaubte und hoffte auf die Güte Gottes. Diese Hoffnung begleitete mich neun Monate lang. Und immer, wenn die Dunkelheit mich ertränken und die Gedanken an den Tod mich überwältigen wollten, entschied ich mich, an Gott und seine Güte zu glauben.

Wenn ich an Gott festhielt, würde Gott mich auch nicht loslassen. Getragen von dieser Hoffnung begann ich mich jeden Tag etwas besser zu fühlen. Eines Tages überwog dann das Dunkle nicht mehr; ich fühlte mich wieder normal. All die destruktiven Gefühle – Gedanken ans Sterben, an fliegende böse Geister, an Leere – waren weg. Voller Freude lobte und pries ich Gott jeden Tag!

Etwa zu dieser Zeit fand ich online zufällig einen Artikel über Depressionen. Als ich die Liste der Symptome las, dämmerte mir, dass ich genau das in den letzten neun Monaten durchgemacht hatte. Wäre bei mir eine klinische Diagnose gestellt worden, hätte man mir bestimmt Medikamente verschrieben. Aber ohne dieses Wissen war alles, was ich tun konnte, auf Gott zu vertrauen, und Er heilte mich.

Von der Hilflosigkeit zur Hilfe für andere

Nicht lange nach meiner Genesung unterhielt ich mich mit meinen Schülern aus der Religionsklasse der Gemeinde. Ich bemerkte, dass nicht wenige von ihnen depressiv waren. Das war offensichtlich verbreiteter, als ich gedacht hatte! Da verstand ich, warum Gott mich eine solche Zeit der Depression hat erleben lassen. Dadurch konnte ich nun anderen, die eine ähnliche Prüfung durchmachten (oder durchmachen würden), besser helfen. Weil ich es überstanden hatte, konnte ich ihnen nun glaubwürdig versichern, dass Gott auch ihnen helfen kann und will.

Menschen, die gesund sind, können sich normalerweise nicht völlig in Menschen, die an einer Depression leiden, hineinversetzen. Da die Symptome nur innerlich sind und es keine erkennbare äußere Ursache für die anhaltende Traurigkeit gibt, wird depressiven Menschen oft gesagt, sie sollten sich mehr anstrengen, darüber hinwegzukommen. Aber es ist für solche Menschen nicht möglich, sich selbst aus dem Abgrund zu ziehen. So führt ein gut gemeinter Ratschlag bei dem Leidenden zu dem Eindruck, dass niemand ihn verstehe, was wiederum seine Depression verschlimmert. Schlimmer noch, er hat Angst, sich anderen anzuvertrauen und um Unterstützung durch Gebet zu bitten, weil er fürchtet, als kleingläubig abgestempelt zu werden. Meiner Erfahrung nach geht es vielen Menschen, die an Depressionen leiden, viel besser, nachdem sie sich jemandem aus der Gemeinde anvertrauen konnten, der sie versteht und ihnen zuhört.

Einige Jahre später traf ich eine andere Frau in der Gemeinde, die ebenfalls an Depression litt. Sie fühlte sich so hilflos, weil ihre Medikamente nicht wirklich halfen. Gott sei Dank durfte ich ihr meine Erfahrungen teilen, und sie fühlte sich sehr erleichtert. Sie konnte nun glauben und hoffen, dass Gott ihr helfen würde. Als ich sie Jahre später wieder traf, freute ich mich zu sehen, wie glücklich sie war.

Diese Erfahrung zeigte mir, dass Gott seinen wunderbaren Willen hat und mit unserem Leiden sein Ziel hat. Manchmal möchte Er unseren Glauben auf die Probe stellen, um zu sehen, ob wir trotz aller Schwierigkeiten an Ihm festhalten. Manchmal möchte er, dass wir durch das Leid Dinge lernen, mit welchen wir in der Zukunft anderen helfen können.

Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Barmherzigkeit und Gott allen Trostes, der uns tröstet in aller unserer Bedrängnis, damit wir auch trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, mit dem Trost, mit dem wir selber getröstet werden von Gott. (2. Kor 1,3-4)
 

Demut lernen

Einige Jahre nach dem Ausbruch der ersten Depression machte ich eine weitere dunkle Phase in meinem Leben durch. Es begann mit einem Gebet zu Gott, mir zu zeigen, was ich ändern sollte. Während dieses Gebetes hatte ich das starke Gefühl, dass Gott wollte, dass ich Demut lernte. Ich war schockiert, weil ich mich nie als einen besonders stolzen Menschen betrachtet habe. Als ich jedoch in mich ging, fand ich tatsächlich Stolz. Aber ich wusste nicht, wie ich ihn loswerden könnte. Also bat ich Gott, er solle mich Demut lehren. Und das tat er, durch Krankheit und durch Herausforderungen am Arbeitsplatz.

Basedow-Krankheit

Etwa ein Jahr später wurde bei mir die Basedow-Krankheit diagnostiziert, die eine Schilddrüsenüberfunktion verursacht. Obwohl ich das Dreifache aß wie normalerweise, nahm ich stark ab. Tatsächlich verlor ich so viel an Gewicht, dass ich unterernährt aussah. Meine Haare fielen aus, meine Nägel begannen zu splittern, meine Hände zitterten und meine Augen traten hervor. Ich hatte eine Verdickung im Nacken und litt an Herzklopfen und Angstzuständen. Menschen mit Morbus Basedow erleben emotionale Achterbahnen. Ich gelte als meist ruhig, und kann meine Emotionen kontrollieren, aber während der Krankheit waren meine Emotionen sehr wechselhaft und extrem. Meine Muskeln waren ständig angespannt und schmerzten, und ich konnte nachts nicht schlafen. Ich lag einfach nur da und hörte mein Herz so laut wie eine Trommel klopfen, während mein ganzer Körper im Takt pulsierte.

Herausforderungen bei der Arbeit

Auch bei der Arbeit musste ich viele Herausforderungen meistern. Ich war Kindergärtnerin und in meiner Gruppe waren etwa dreißig Kinder. Davon war die Hälfte verhaltensauffällig – eine ungewöhnlich hohe Zahl. Da überrascht es nicht, dass mein Arbeitsalltag aus einer endlosen Kette von Konflikten bestand. Während ich mich gerade mit einem Kind wegen seines Verhaltens beschäftigte, machte ein anderes etwas, das auch mein sofortiges Eingreifen erforderte. Während ich zum zweiten Kind eilte, passierte schon das nächste Unheil – und so ging es den ganzen Tag.

Um die Situation noch zu verschlimmern, war ein Kind meiner Klasse besonders schlimm. Es krabbelte im Klassenzimmer auf allen Vieren herum. Wenn ich es bat, sich zu setzen, stand es auf, und wenn ich es bat, zu mir zu kommen, lief es weg. Es versuchte sogar einen der Erzieher zu erwürgen.

Ich war freilich schlecht gerüstet, mit einem solchen Kind umzugehen, denn ein weiteres Symptom der Schilddrüsenüberfunktion ist die Unfähigkeit, klar zu denken. Für Entscheidungen, die innerhalb von dreißig Sekunden getroffen werden können, brauchte ich drei Stunden. Darüber hinaus hatte ich meine Stimme völlig verloren. Angesichts all dessen fühlte ich mich wieder einmal völlig hilflos. Ich hatte schon Schwierigkeiten, die Wäsche zu waschen – wie sollte ich den Kindern meiner Gruppe gerecht werden können, von denen die Hälfte zusätzliche Betreuung brauchte?

Wieder einmal musste ich Gott um Hilfe bitten. Jeden Morgen betete ich zu Gott, bevor ich zur Arbeit ging. Außerdem las ich noch eine halbe Stunde die Psalmen, um genug Kraft zu bekommen den Tag zu überstehen. Zum ersten Mal spürte ich, dass ich beim und durch das Lesen des Wortes Gottes Kraft empfing. Ich wurde dann schließlich wegen der Schilddrüsenüberfunktion medizinisch behandelt. In diesen sechs Monaten, in denen ich die Psalmen las und jeden Tag betete, wirkte Gott. Langsam kümmerte er sich nach und nach um meine Probleme.

Diese Ereignisse machten mir deutlich, dass der Herr Gott ist. Er ist unser Schöpfer und Er schenkt uns auch all unsere Fähigkeiten. Ihm verdanken wir unsere Karriere und Erfolge. Doch so wie der Herr geben kann, so kann er auch nehmen. Ich mag eine überaus fähige Lehrerin sein, aber eine Krankheit kann mich so sehr schwächen, dass ich nicht mehr unterrichten kann.

So hat Gott mich Demut und Dankbarkeit gelehrt. Ein gewöhnliches Leben zu führen ist bereits Gottes Segen. Das Leben in uns zeigt Seine Kraft, die uns erhält. So lernte ich, mich zu demütigen, indem ich Gottes Macht und Kraft bis in den kleinsten Bereichen meines Lebens erkannte.

Denn in ihm leben, weben und sind wir; wie auch einige Dichter bei euch gesagt haben: Wir sind seines Geschlechts. “. (Apostelgeschichte 17:28)

Gott rüstet mich mit Kraft und macht meinen Weg ohne Tadel. (Ps18,33)

Bringet dar dem HERRN die Ehre seines Namens, bringet Geschenke und kommt in seine Vorhöfe! Betet an den HERRN in heiligem Schmuck; es fürchte ihn alle Welt! (Ps 96,8.9)

Schlussfolgerung – mein Herr, mein Lehrer, mein Gott

In den ersten fünfundzwanzig Jahren meines Lebens hat Gott mir Seine unerschütterliche Treue durch viele Segnungen bewiesen. In der nächsten Lebensphase meines Lebens, als Er mich durch eine Zeit der Dunkelheit führte, lehrte Gott mich, dass Er da ist, auch wenn ich Seine Gegenwart nicht spüre. Von meiner Depression lernte ich, dass Gottes Arm nicht zu kurz ist. Er kann mich – und jeden, der bereit ist, Ihm zu vertrauen – aus tiefstem Leiden retten. Von meiner Schilddrüsenüberfunktion lernte ich, dass Gott derjenige ist, der uns erhält und uns zu all dem befähigt, was wir können.

Mein Herr, mein Lehrer, mein Gott!

Ihm gebührt alle Ehre.