Kindertaufe ja oder nein?

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Vielen Gemeindemitgliedern ist klar, dass sie ihre Kinder taufen lassen dürfen. Oft fällt es ihnen aber schwer, den Grund dafür zu nennen. Kürzlich tauchte dieses Thema in einem Gespräch auf und ich hörte ein langjähriges Mitglied vermuten: “Geht es nicht deswegen, weil der Glaube der Eltern auf den Säugling übertragen wird?” Diese Antwort klingt bestechend und ist vielleicht auch das erste Argument, das uns in den Sinn kommt. Wörtlich genommen ist diese Aussage jedoch unbiblisch; es gibt kein biblisches Pendant dafür, dass der Glaube eines Menschen auf eine andere Person übertragen wird. Es bleibt also die Frage: Warum lassen wir unsere Kinder taufen, obwohl sie nicht glauben und sich nicht bekehren können? Und warum sollten wir es tun, wenn wir es dürfen?

Bevor wir uns diesen Fragen zuwenden, ist zunächst eine historische Einordnung sinnvoll.

Die Kindertaufe in der Kirchengeschichte

Wer sich mit der Kirchengeschichte beschäftigt, stellt bald fest, dass die Kindertaufe in der frühen Kirche ohne nennenswerte Kontroversen praktiziert wurde. Ein Wissenschaftler schreibt hierzu:

“Obwohl die Taufe in den Jahrhunderten der Kirchenväter, insbesondere in der Westkirche, oft umstritten war, gab es zu dieser Zeit keine nennenswerte Uneinigkeit über die Akzeptanz der Taufe von Kleinkindern. Zur Zeit der Kirchenväter gab es keinen Präzedenzfall für die Spaltung bezüglich der Taufe im sechzehnten und der folgenden Jahrhunderte.” [1]

Während der frühen christlichen Jahrhunderte äußerte einzig der Kirchenvater Tertullian (ca. 160 – ca. 225 n. Chr.) in seinem Werk De Baptismo eine gegensätzliche Auffassung: 

“Und so ist je nach den Umständen und der Gesinnung, sogar dem Alter, jedes Einzelnen die Verzögerung der Taufe vorzuziehen; hauptsächlich jedoch im Falle kleiner Kinder”. [2] 

Zusammenfassend befürwortete er die Verschiebung der Taufe, weil er sie für vorteilhafter hielt [3]. Anzumerken ist jedoch, dass er kein ausgesprochener Gegner der Kindertaufe war. Für ihn war es auch zulässig, kleine Kinder zu taufen.

Ferner wurden andere Auseinandersetzungen zum Thema der Taufe ausgefochten. Die Kindertaufe praktizierte die Kirche dennoch über Jahrhunderte hinweg.

Erst im 16. Jahrhundert, während der Reformation, begann die Kindertaufe zu einem umstrittenen Thema zu werden. Neue Gruppierungen formten sich, welche die Kindertaufe ablehnten und sie als falsch betrachteten. So entstand eine Spaltung zwischen den einen, welche die Kindertaufe befürworteten, und den anderen, welche die Gläubigentaufe unterstützten und nur solche tauften, die in der Lage waren, sich zum Glauben zu bekennen.

Die bedeutendste Gruppe zu dieser Zeit waren die “Schweizer Brüder”, die später von ihren Gegnern als “Täufer” (oder Anabaptisten) bezeichnet wurden. Die Bewegung begann in der Schweiz, breitete sich in kürzester Zeit über mehrere Länder aus und etablierte sich als Parallelbewegung zur Reformation.

Konrad Grebel gilt als Mitbegründer der Schweizer Brüder. Durch den Schweizer Reformator Huldrych Zwingli war er zum evangelischen Glauben gekommen und wurde ein prominentes Mitglied der Kirche in Zürich. Doch schon bald war er sowohl von Zwingli als auch von Martin Luther enttäuscht. Grebel und andere waren der Meinung, dass diese Reformatoren die Läuterung der Kirche und Durchsetzung der biblischen Prinzipien, wie sie in der Heiligen Schrift gelehrt werden, nicht schnell genug umsetzten (oft kooperierten Luther und Zwingli und warteten auf den Staat, bevor sie religiöse Reformen einleiteten) [4]. Sie prangerten an, dass viele Mitglieder in Massenbekehrungen zum Protestantismus konvertierten, ihr Leben aber nicht änderten, sondern allein an der Lehre der Glaubensgerechtigkeit festhielten, um ohne guten Werke ein ausschweifendes Leben führen zu dürfen. Angesichts der infrage gestellten Ernsthaftigkeit der Bekehrten bestanden die Schweizer Brüder darauf, die Mitgliedschaft in der Kirche auf diejenigen zu beschränken, die sich bewusst zu Christus bekennen. Sie lehnten eine mühelos zu erlangende Mitgliedschaft in der Kirche über den Staat ab [5]. Wegen dieser Ansichten bekämpften sie die Kindertaufe vehement. Sie betrachteten sie als eine unzulässige Praxis. Wer getauft wurde, ohne sich zum Glauben zu bekennen, musste erneut getauft werden.

Der Konflikt spitzte sich im Januar 1525 zu, als ein ehemals römisch-katholischer Priester namens Jörg Blaurock, der als Kind getauft worden war, Konrad Grebel bat, ihn erneut zu taufen. Nachdem Grebel der Bitte nachgekommen war, taufte Blaurock fünfzehn weitere Menschen [6]. Dieses Ereignis war die Geburtsstunde des Schweizer Täufertums. Die Gegner dieser Bewegung nannten ihre Mitglieder Anabaptisten, was wörtlich bedeutet: “einer, der wieder tauft”. Die Bewegung breitete sich rasch in anderen Teile der Schweiz und Süddeutschland aus.

Angesichts der historischen Entwicklung ist es nicht überraschend, dass die römisch-katholische und griechisch-orthodoxe Kirche, sowie die aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen (d.h. Lutheraner, Calvinisten, Reformierte) auch heute noch die Kindertaufe praktizieren. Konfessionen, die direkt oder indirekt von den Täufern beeinflusst wurden (d.h. Mennoniten, Amische, Baptisten), halten sich streng an die Gläubigentaufe. Auch Pfingstgemeinden praktizieren in der Regel die Gläubigentaufe.

Warum wir dürfen: Gott und die Familie

Wie bei vielen Kontroversen bezüglich der Glaubenslehren sollte man sich nicht allzu schnell für eine Seite entscheiden, um nicht etwa in eine ideologische Falle zu tappen. Es ist wichtig ein klares biblisches Verständnis davon zu haben, warum wir unsere kleinen Kinder taufen dürfen und sollen.

Erstens wurde Gottes Bund mit seinem auserwählten Volk aufgerichtet, also mit “dir und deinen Nachkommen von Geschlecht zu Geschlecht, dass es ein ewiger Bund sei” (1.Mo 17,7; vgl. 5.Mo 29,10-13; Jos 8,35). Gottes Bund gilt für die gesamte Familie. Ja, das Anliegen der Täufer war richtig: Jeder Einzelne und jede Generation muss ihre persönliche Beziehung zu Gott aufbauen (vgl. Jes 54,13; Jer 31,31-34). Dennoch sind Gottes Gnade und Gottes Bund allen innerhalb der Glaubensfamilie frei geschenkt. Deshalb taufen wir nicht einfach irgendwelche Kinder. Wir taufen Kinder des Hauses Gottes.

Ein weiteres Prinzip, das wir in der Bibel finden, ist, dass ein erwachsener Gläubige seine ganze Familie vertreten kann. Im Alten Testament sehen wir, dass durch den Glauben Noahs seine gesamte Familie gerettet wurde (Hebr 11,7). In den Evangelien, als Zachäus Jesus Christus im Glauben angenommen hatte, sagte Jesus zu ihm: “Heute ist diesem Hause Heil widerfahren” (Lk 19,9, Hervorhebung hinzugefügt). Während der zweiten Missionsreise des Paulus öffnete der Herr Lydias Herz für die Predigt des Paulus, woraufhin sie und ihr Haus getauft wurden (Apg 16,14-15). In ähnlicher Weise glaubte der Kerkermeister aus Philippi; auch seine ganze Familie wurde getauft (Apg 16,30-33). Lydia und der Kerkermeister sind zwei konkrete Fälle, in denen einzelne Gläubige ihren gesamten Haushalt vertreten. Wie in den Familien Noahs und Zachäus’ kamen Gnade und Erlösung durch den Glauben einer einzigen Person in diese Familien. In beiden Geschichten wird nicht ein Wort über den Glauben der übrigen Familienmitglieder verloren. Dies unterstreicht, dass Gott die Familie als Ganzes, als eine Einheit, erlöst, und nicht nur einzelne Personen erretten will [7]. Noch bedeutender ist in diesen beiden Fällen die direkte Verbindung zwischen der Familie und dem Sakrament der Taufe. Die Wassertaufe darf also an den Familienmitgliedern eines Gläubigen, einschließlich seiner Kinder, durchgeführt werden.

All diese biblischen Beispiele bestätigen die Verkündigung des Petrus am Pfingsttag: “Tut Buße, und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung eurer Sünden, so werdet ihr empfangen die Gabe des Heiligen Geistes. Denn euch und euren Kindern gilt diese Verheißung (Apg 2,38-39a, Hervorhebung hinzugefügt). Kann denn ein Kind oder Säugling glauben, Buße tun, Sünden bekennen und sich aktiv in die heilige Gemeinschaft einfügen? Sicherlich nicht. Aber wir dürfen ihnen die Taufe deshalb nicht verwehren. Da sie zum Haushalt und zur Familie eines Gläubigen gehören, werden auch ihnen die Verheißungen des Bundes Gottes zugesprochen. Ja, Gnade ist dem ganzen Haus widerfahren.

Die Sorge der Täufer bezüglich unsteter Christen und eines ausschweifenden Lebensstils ist jedoch nach wie vor gültig. Aber wir müssen uns daran erinnern:

“Die Taufe der ganzen Familie ist keine Garantie dafür, dass am Ende jedes Mitglied gerettet wird. Auch wenn der gesamte Haushalt, einschließlich der Kinder, durch die Taufe in Gottes Heilsbund eintritt, ist es dennoch unerlässlich, dass jedes Mitglied seinen eigenen Glauben und seine eigene Beziehung zu Gott aufbaut. Die Eltern, die ihre Kinder zur Taufe gebracht haben, müssen die Verantwortung übernehmen, sie anzuweisen und sie im Glauben zu leiten” [8].

Dies steht im Zusammenhang mit der nächsten Frage, warum wir unsere Kinder taufen sollten, da wir es dürfen.

Warum wir es tun sollten: Glaube und Pflicht

Einige Mitglieder zögern, ihre Kinder taufen zu lassen, weil sie befürchten, dass ihre Kinder gegen Gott sündigen und dem Glauben den Rücken zukehren könnten, wenn sie älter sind. Sie glauben, es sei besser für ihre Kinder, als Erwachsene selbst die Wahl zu treffen. Damit vertreten sie eine ähnliche Ansichte wie Tertullian, der sich für die Verzögerung der Taufe aussprach. Obwohl christliche Eltern verständlicherweise Angst vor der späteren Abkehr ihrer Kinder vom Glauben haben, ist die beste Vorgehensweise immer noch die Kindertaufe. Es gibt mehrere Gründe, die wir in Betracht ziehen sollten:

Der erste Grund ist, dass, obwohl Kleinkinder nicht willentlich sündigen, die Bibel alle Menschen als Sünder sieht (Röm 5,12-14), auch Neugeborene (vgl. Ps 51,7). Deshalb müssen auch Kinder zur Vergebung der Sünden getauft werden – zumal es unmöglich ist, vorherzusagen, ob ihnen so viel Lebenszeit geschenkt ist, dass sie ihre eigene Entscheidung auch tatsächlich treffen werden können. Wer kennt schon die Zukunft? Wenn alles anders laufen sollte als geplant, würde dann nicht die Entscheidung, unsere Kinder nicht zu taufen, zum größten Bedauern werden?

Zweitens möchten wir als Eltern instinktiv unseren Kindern das Beste geben. Nur wenige Wochen nach ihrer Geburt, lassen wir sie impfen, weil wir ihnen ein gesundes Leben frei von vermeidbaren Krankheiten wünschen. In gleicher Weise kümmern wir uns, ohne es zu hinterfragen, um ihre Schulbildung, weil wir denken, dass Bildung für ein eigenständiges Leben unerlässlich ist. Selten hört man von Eltern, die warten, bis ihre Kinder erwachsen sind, damit sie selbst entscheiden können, ob sie sich impfen lassen wollen. Auch gibt es wohl keine Eltern, welche den Kindern die Schulbildung nicht angedeihen lassen wollen. Das wäre absurd! Aber wenn wir so großzügig mit irdischen Dingen wie Gesundheit und Bildung umgehen, sollten wir dann nicht noch eifriger darauf bedacht sein, unseren Kindern das beste Geschenk zu machen – sie taufen zu lassen und es ihnen damit zu ermöglichen, in das Himmelreich einzutreten (vgl. Joh 3,5)?

Schließlich wissen wir als Eltern, dass die Erziehung gottesfürchtiger Kinder unsere gottgegebene Pflicht ist (vgl. Mal 2,15; 5.Mo 6,4-9). Schon der Akt der Taufe unserer kleinen Kinder ist eine große Motivation für die Erfüllung dieser Pflicht. Da sie durch die Taufe zum Herrn geführt werden (vgl. Gal 3,26-29), sollte uns allein diese Tatsache dazu antreiben, alle Anstrengungen zu unternehmen, dass sie auch im Herrn bleiben. Auch in anderen Dingen bemühen wir uns weitaus mehr, wenn wir wissen, dass es kein Zurück gibt, dass es kein “Sicherheitsnetz” gibt? [9] Das ist ähnlich, wie wenn man eine Ehe mit oder ohne Ehevertrag abschließt. Die erste Wahl setzt ein Scheitern voraus und lässt die Scheidung zu, während die andere sich in dem Wissen, dass es kein Zurück gibt, voll und ganz auf die Ehe einlässt. In gleicher Weise und mit derselben Verbindlichkeit sollten wir die Taufe und die Erziehung unserer Kinder angehen.

Wie wir gesehen haben, ist die Taufe unserer Kinder nicht nur zulässig, sondern es wird auch dazu ermutigt. Möge der Herr uns weiterhin Weisheit geben, nicht nur für die Begründung der Kindertaufe, sondern auch bei der Erziehung unserer Kinder.

 

[1] Infant Baptism in Historical Perspective, 2007, David Wright, S.22

[2] Ante-Nicene Fathers, Volume III: Latin Christianity: Its Founder, Tertullian, 1885, Über die Taufe, Kapitel 18, S.678.

[3] Infant Baptism in Historical Perspective, 2007, David Wright, S.25-26

[4] Luther, Zwingli und Calvin plädierten für die wechselseitige Abhängigkeit von Kirche und Staat. Im Gegensatz dazu waren die Täufer oder Anabaptisten als “Radikale Reformatoren” bekannt.

[5] The Church in History, 1965, B. K. Kuiper, S.205

[6] A History of the Christian Church, 1986, Williston Walker, S.449

[7] Weitere Beispiele sind das Haus des Crispus (vgl. Apg 18,8; 1.Kor 1,14) und das Haus des Stephanas (1.Kor 1,16). Weitere Informationen unter “The Doctrine of Baptism”, USGA, 2011, Kapitel 9.

[8] The Doctrine of Baptism”, USGA, 2011, Kapitel 9

[9] Nicht, dass eine Verzögerung der Taufe überhaupt als “Sicherheitsnetz” dienen könnte, denn es gibt keine Garantie dafür, dass unsere ungetauften Kinder im Erwachsenenalter überhaupt den Glauben wählen würden.

Übernommen aus Manna Issue 70, 2013, “Why We Can and Should Baptize Our Infants”, Samuel Kuo – Cerritos, Kalifornien, USA